Projektentwicklung Indien 2015

von Caroline Seidel


Zum Glück war ich dieses Jahr nicht alleine in Indien unterwegs! Wer hätte denn all die Geschenke tragen sollen? :)

Für mich war es bereits die sechste Reise nach Indien. Für Christian, meinem Kollegen, die erste. Nach einem langen Flug kamen wir am 16. Dezember in der Frühe in Chennai an. Von dem Hochwasser, das in den letzten Wochen die Stadt beschäftigt gehalten hat, war kaum noch etwas zu sehen. Vom Flughafen ging es direkt an den Bahnhof. Nach weiteren vielen, vielen Stunden Zugfahrt kamen wir mitten in der Nacht in Trichy an, wo uns Nonne Rosy, unsere Projektpartnerin, in Empfang nahm.


Trichy

Bereits am nächsten Tag starteten wir früh mit der Arbeit – die Zeit war schließlich recht knapp. Nachdem die Kids in der Schule waren, ging es für Christian und mich zum Einkaufen. Wir kauften Seife, Zahnbürste, Waschseife und Zahnpasta für 200 Kinder. Abends fand dann die erste Weihnachtsfeier statt. Die Kids aus unserem Schulprojekt im Slum bekamen neue Kleider und – natürlich: Kuchen und Kekse für alle. An der Feier nahmen auch unser Mädels von JMJ teil. Es war ein lustiger Abend mit viel Tanz, Gesang und glücklichen Kindergesichtern.

Nicht alle unsere Kinder wohnen in der JMJ Institution. Dank der Paten konnten einige Kids inzwischen in spezielle Schulen geschickt werden, in denen sie dann individueller gefördert werden. Daher besuchen Christian und ich an diesem Tag auch diese Kinder, um ihnen die Post ihrer Paten zu überbringen. Unter anderem besuchen wir Reshma in der Blindenschule. Gegen Abend waren wir zurück und besuchen einige unserer Schulkinder im Slum. Die Freude über unsere kleine Hygienetüten war riesig. Wir wurden durch die engen Gassen zwischen den Hütten geführt und Christian bekam einen ersten Einblick in die Lebenswelt unserer Kinder. Am nächsten Morgen ging es wieder in den Slum, diesmal jedoch in einen anderen Teil. Wir verteilen Ballons und Süßigkeiten an die Kinder und Seife und Shampoo an die Mütter. Abends besuchten wir unser zweites Schulprojekt im Slum. Dieses befindet sich in unmittelbarer Nähe der Lederfabrik, was zur Folge hatte, dass die Kinder hier besonders von Hautausschlägen betroffen sind, welche auf die verwendeten Mittel in der Fabrik zurückzuführen sind. Auch die Kinder hier bekamen ein Hygienepakete. Zudem klärten wir die Kids über die Kinderrechte auf. Zurück im Heim hieß es dann leider schon wieder Abschied nehmen. Da es der letzte Tag war, ließ ich mich überreden, mich in eine Inderin verwandeln zu lassen. Behängt wie ein Weihnachtsbaum und in einen Sari eingewickelt, tanzten wir den halben Abend, es wurde gesungen und Kuchen gegessen Der Abschied fiel wie immer schwer. Nach 2h Schlaf verließen wir um 3:00 in der Früh Trichy. Während ich schon auf gepackten Koffern saß, bestand die erste Herausforderung des Tages darin, Christian wach zu bekommen. Nachdem ich ihn geweckt hatte, ging es los! Bye bye Trichy!


Sullia

Nach 17h Zugfahrt kamen wir spät nachts in Mangalore an und wurden nach einem kurzen Snack nach Sullia gefahren, die kleine Stadt, in der wir arbeiten. Unser Projektpartner Sadashiv empfing uns – viel Zeit zum Austausch hatten wir jedoch nicht. Christian und ich wollten nach der langen Reise einfach nur noch schlafen!

Nach einem kurzem Frühstück machten sich Christian und ich um halb 10 auf in die Sandeep Special School. Viele Kids waren an diesem Tag leider krank. Nachdem wir alle begrüßt hatten und sich die Aufregung um uns etwas gelegt hatte, wurde gespielt, gemalt, getanzt und Yoga gemacht. Am Nachmittag besuchten wir schließlich einige der Kinder, die aufgrund von Krankheit nicht in der Schule gewesen waren. Es ist immer spannend zu sehen, wie unsere Kinder leben und es ist zugleich auch eine Bestätigung für die Notwendigkeit unserer Arbeit. Zurück in Sullia gingen wir Hygieneartikel kaufen und die Nacht verbrachten wir damit, diese zusammen zupacken. Am nächsten Tag verteilten wir die Tüten dann zusammen mit der Post der Paten. Was eine Freude! Für den ein oder anderen war es sichtlich einer der ersten Bekanntschaften mit einer Zahnbürste.

Unseren letzten Tag verbrachten Christian und ich komplett mit der Planung des Schulbaus. Nachdem wir den Architekten bereits kurz getroffen hatten, fanden wir nun endlich mehr Zeit, uns über die Raumaufteilung und den Bauplatz auszutauschen. Der Schulbau wird von Hand des Menschen und unsere Partnerorganisation gemeinsam getragen. Christian und ich, als HdM Vertreter und der Vorstand der indischen Organisation verhandelten mehrere Stunden die weiteren Schritte aus und besprachen die Zuständigkeitsbereiche. Im Anschluss besichtigten wir unterschiedliche Bauplätze, die für die Schule in Frage kommen. Unser Fazit des Tages – viele kleine Schritte in die richtige Richtung aber auch noch eine ganze Menge Arbeit! Erst nach Anbruch der Dunkelheit kamen wir zurück ins Haus von Sadashiv und verbrachten den Rest des Abends mit Packen, da es schon wieder für uns weiter ins nächste Projekt ging. Den Heiligen Abend verbrachten Christian und ich im Zug. Ein sehr ungewöhnlicher Ort um Weihnachten zu „feiern“. Da Züge jedoch nicht täglich fahren, war dies unsere einzige Möglichkeit, unseren Zeitplan einhalten zu können. Zudem gab es uns endlich etwas Zeit, über die letzten Tage zu sprechen. Nach über 24h Fahrt kamen wir schließlich am 25. Dezember Mittags (endlich) in Tenali an!


Tenali

Christian wurde bei einem Freund untergebracht, da er als Mann nicht im Heim schlafen darf. Für mich hieß es „Home sweet home“. In Swadhar hat im Jahr 2011 alles begonnen. Ich kenne dieses Projekt am längsten und fühle mich inzwischen hier wie Zuhause. Als ich ankam, waren die Mädels gerade am Mittagessen, was mir die nötige Zeit gab, mich nach der langen Fahrt kurz frisch zu machen. Doch die „Kunde von Linas Ankunft“ machte schnell die Runde. Nach einer mini Dusche wurde ich von meinen Mädels umringt und liebevoll begrüßt. Es sind altbekannte Gesichter, die mich anstrahlten und neue. Aber einige fehlten auch. Mounika ist im Zuge ihrer HIV Erkrankung vor wenigen Wochen verstorben. Aufgrund von Stromausfällen erreicht mich diese Nachricht erst vor Ort. Doch schon bevor jemand mir etwas davon erzählt, fällt mir auf, dass sie fehlt. Die Freude wird durch die Trauer und den Schmerz, den ich empfinde, getrübt. Viel Zeit zum Nachdenken blieb mir an dieser Stelle (zum Glück!?) jedoch nicht, denn jeder hatte etwas zu berichten. Sehr spät fiel ich abends kaputt auf mein Feldbett.

Da Christian sich eine böse Erkältung eingefangen hatte und mit Fieber flach lag, durfte er sich am nächsten Tag etwas ausruhen. In der Zwischenzeit machte ich das, was Frauen angeblich am besten können: Einkaufen (dazu muss ich sagen: entweder ich bin keine „typische Frau“ oder das ist einfach nur ein blödes Vorurteil!). Die Verhandlungen mit den Händlern sind nämlich anstrengend und lang, nach vielen Stunden hatte ich jedoch meine komplette Einkaufsliste abgearbeitet. Die Ausbeute des Tages waren: 200 kg Reis, 30 kg Dal (Linsen) unzählige Stifte, Seife, Zahnbürste, Zahnpasta, Lunchbox und Schultaschen.

Christian war noch nicht fit, hielt aber trotzdem tapfer beim Verteilen der Geschenke im Slum durch. Während ich am nächsten Tag in die Kirche ging und meine ganzen Kollegen und Freunde traf (Kirche ist da das Event sonntags!) ruhte sich Christian noch etwas aus. Mittags begannen wir die Schulranzen mit verschiedenen Hygieneartikeln, Stiften und einer Lunchbox zu befüllen. Mein Zimmer war ein einziges Chaos. Die Mädels hatten für uns am Abend noch eine Feier organisiert – was wieder damit endete, dass ich tanzen musste, während sich Christian hinter unserem Fotoapparat versteckte – was ein Feigling! Den Rest des Abends waren wir mit Schulranzen packen beschäftigt.


Dorfprojekt

Am Morgen wurden wir von unserer Projektpartnerin Nonne Sarita abgeholt, die für unser Dorfprojekt zuständig ist. Den Kofferraum des Autos luden wir mit unseren Schultaschen voll. Für den Koffer mit den Patenbriefen war da jedoch kein Platz mehr, der wurde auf das Autodach geschnallt. So ausgerüstet ging es dann in das erste Dorf. Inzwischen hatte auch mich die Grippe heimgesucht. Als wir an einer Kirche in mitten des Dorfes ankamen, wurden wir schon sehnsüchtig erwartet. Die meisten Kids kannte ich, jedoch waren auch viele gekommen, die zwar keinen Paten hatten, jedoch unserer Einladung gefolgt waren und die wir auch mit einem neuen Schulranzen glücklich machen konnten. Später am Nachmittag ging es in ein weiteres Dorf, in der Nähe von Tenali, wo wir uns erneut mit Kids trafen. Die Freude war groß. Nicht nur wegen der Geschenke, sondern auch wegen der zwei komischen weißen Menschen, die die ganze Zeit Quatsch machten. Die Nacht verbrachten wir in Nallapadu, einer Stadt die zwischen all den Dörfern liegt. Am nächsten Tag erwarteten uns wieder viele Kleingruppen. Die Kinder aufzuteilen, hatte den großen Vorteil, dass es einfach überschaubarer war und mehr Zeit war, sich mit den einzelnen Kinder zu unterhalten. Unser Tagesfazit waren fast 80 Kinder! Spät am Abend ging es dann für mich zurück ins Heim nach Tenali.


Zurück in Tenali

Auch am letzten Tag des Jahres geht es für Christian und mich mal wieder zum Einkaufen. Diesmal mussten wir neue warme Jacken für unsere Mädels aus Swadhar besorgen. Auch wenn man mit Indien zumeist ein sehr warmes Klima verbindet, wird es auch hier im Winter verhältnismäßig kühl. Voll bepackt kamen wir zurück ins Heim, wo wir endlich Zeit hatten, um unsere Patenfiles zu aktualisieren. Bevor wir dann abends gegen 22:00 in die Kirche fuhren, um dort in einer langen Zeremonie ins Neue Jahr zu starten, verteilten wir die Jacken, die auch direkt anbehalten wurden und ich wurde (mal wieder) in eine ziemlich blasse Inderin verwandelt – diesmal in pink. Die Kirche dauerte bis in die frühen Morgenstunden. Nach wenig Schlaf hieß es am 1. Tag des neuen Jahres wieder Koffer packen – das heißt eigentlich ist es nur noch eine kleine Tasche, alles andere hatten wir verteilt. Es gab ein letztes Mal Kuchen, wir haben gespielt, getanzt, gelacht – der Abschied fiel mir schwer, Christian sichtlich auch!

Wir beide fuhren dann noch kurz zur Hochzeit eines Freundes und dann hieß es auch schon Bye, bye Indien und auch Bye bye Christian, denn den Heimflug trat ich ohne ihn an. Letzte gute Ratschläge und Überlebenstipps an meinen treuen Begleiter der letzten Wochen, dann ging es heim ins kalte Deutschland!

Mein persönliches Fazit – die Zeit war mal wieder viel, viel zu kurz, wir haben Dank der überwältigenden Unterstützung viel mehr Kinder erreichen können, wie wir gehofft hatten, Shoppen ist ANSTRENGEND! und Sari tragen ist auch nach jahrelangem Probieren immer noch nicht mein Ding – ich kann mich in dem 6m langen Stofftuch einfach nicht bewegen! Aber es war eine weitere wundervolle Reise und der wohl außergewöhnlichste Heiligabend, den ich bisher erleben durfte!