Projektentwicklung Indien 2015

von Anna Moosmann

Ich bin Anna (24 Jahre) und war im Frühling dieses Jahres für 2 Monate in Indien, um die Projekte von Hand des Menschen zu besuchen. Abgeholt wurde ich in Mangalore von meiner Freundin und Hand des Menschen Vorstandsmitglied Mirja Helene Lehleuter, mit der ich auch den Rest der Reise verbracht habe. Gestartet sind wir im östlichen Bundesstaat Karnataka. Die Vegetation dort erinnert an die Beschreibungen aus dem Dschungelbuch. Inmitten der Palmen, Hügel und exotischen Blumen, liegt eine kleine Stadt namens Sullia. Hier wohnt unser Kooperationspartner der Sandeep Special School - die Familie Sadashiv. Herr Sadashiv und seine Frau Harini betreuen die kleine Schule, die sich die Pflege und Förderung geistig, sowie körperlich beeinträchtigter Kinder zur Aufgabe gemacht hat. Da die Schule nicht die nötigen Kapazitäten für die nun mehr als 30 Schulkinder bietet, hat Hand des Menschen vor Weihnachten Geld gesammelt, um eine neue, größere Schule bauen zu können, an die sich dann ein Internat anschließen wird, um auch Kindern von weiter weg eine regelmäßige Teilnahme am Schulalltag gewährleisten zu können. Zudem haben viele Kinder schwere körperliche Beeinträchtigungen, die es ihnen unmöglich machen, alleine zur Schule zu kommen. Die Angehörigen leisten so gut es ihnen möglich ist Unterstützung, wobei die wenigsten ein motorisiertes Transportmittel besitzen. Mit zunehmendem Alter der Kinder nimmt auch das Körpergewicht zu und damit die Belastung für die Angehörigen sie den weiten Weg zur Schule zu bringen. Manche Kinder haben wir daher nur mit dem Jeep Herrn Sadashivs sehen und sprechen können und haben miterlebt, in welchem Zwiespalt sich die Familien und die Kinder auf Grund der Situation befinden. Wir hoffen, dass dieser Umstand bald kein Hindernis mehr sein wird.

Ansonsten ist der Schulalltag der Kinder in der Sandeep Special School bunt und fröhlich. Es wird viel gespielt, gelacht und der enge Zusammenhalt der Kinder hilft ihnen sich in ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten gegenseitig zu fördern. Die neue Schule, die Platz für mindestens 70 Kinder bieten soll, wird dieses Potenzial weiter ausbauen, durch mehr Raum zum Spielen, neue Lehrmaterialien und eine individualisierte Förderung dank mehr Lehrpersonal.

Als zweite Station sind Mirja und ich in das heiße und trockene Andhra Pradesh gefahren. Bei 50 Grad Hitze haben wir 9 Tage mit unseren Mädchen im Frauenhaus Swadhar verbracht. An diesem Ort herrscht eine herzliche und familiäre Atmosphäre. Die Mädchen basteln Schmuck, lernen für die Schule, singen, tanzen und lachen viel. Wir wurden freundlich aufgenommen und haben jeden Tag genossen.

Natürlich haben wir gleich am ersten Tag die lang ersehnten Patenbriefe an die Mädchen ausgeteilt und konnten an allen folgenden Tagen beobachten, wie sie stolz Fotos herumgezeigt haben oder ihre Geschenke, wie Ketten, Haargummis oder Armbänder trugen.

Zudem hatten wir die Durchführung eines Projektes geplant, dass den oft schwer traumatisierten Mädchen ein paar Werkzeuge an die Hand geben sollte, um mit ihren belastenden Erfahrungen und deren Auswirkungen besser umgehen zu können. Die kulturellen und sprachlichen Barrieren haben wir versucht zu umgehen, indem wir Altbekanntes mit den neuen Strategien und Übungen aus der Traumatherapie verknüpfen.

Demnach haben wir unter dem Motto „Stärkung von Körper und Geist durch Yoga und Meditation“ jeden Vormittag zuerst Yoga-Übungen (Mirja) und im Anschluss das Traumacoaching (Anna) durchgeführt. Dank der Hilfsbereitschaft vieler älterer Mädchen mit guten Englischkenntnissen wurden die gegebenen Anweisungen gut verstanden und konnten von den 20-30 Mädchen mit zum Teil verschiedensten Hintergründen und unterschiedlichstem Alter gut umgesetzt werden. Am Ende unseres Aufenthaltes haben wir dann zwei Tutoren ernannt, die sowohl die Yoga-, wie auch die Traumaübungen fortführen sollten. Die betreffenden Mädchen waren sehr stolz über ihre Nominierung und als Erinnerung an das Gelernte haben wir laminierte Lesezeichen ausgeteilt, die in vereinfachter Sprache das internationale Kinderschutzgesetzt widergeben.

Ein weiterer Höhepunkt unseres Aufenthaltes war der Abend, an dem wir beide unseren ersten Sari angezogen bekommen haben. Dazu wurden wir mit 4 weiteren Mädchen in unser Zimmer gebracht, die uns 1 Stunde lang unter viel Gelächter ankleideten und mit Bangles, Ketten und Ohrringen schmückten. Im Anschluss wurde wir durch die Flure und Zimmer geführt und es wurden jede Menge Fotos von uns gemacht. Trotz der heißen 50 Grad und der vielen stundenlangen Stromausfälle (die u.a. auch das Ausfallen der Ventilatoren bewirkt haben), haben wir uns sehr wohl gefühlt und sind stolz, dass wir diese außergewöhnlichen Mädchen persönlich kennen lernen durften. Wir verließen Swadhar mit dem sicheren Gefühl, nächstes Jahr wiederzukommen.

Von Swadhar aus sind wir dann in das nahe gelegene Dorfprojekt gefahren. Dort unterhalten wir Patenschaften für Kinder, die ihre Eltern verloren haben und nun bei Verwandten auf dem Lande wohnen. Diese sind zumeist sehr arm und leben unter widrigen Verhältnissen. Die Gelder aus den Patenschaften ermöglichen den Kindern einen regelmäßigen Schulbesuch, sowie die dafür notwendigen Materialien. Hier verbrachten wir 5 Tage, an denen die Kinder von ihren Dörfern zu der organisatorischen Zentrale, einem Gelände unseres Kooperationspartners (JMJ), kommen sollten, um sich die Briefe ihrer Paten abzuholen. An diesen Tagen war entsprechend viel Tumult und es war eine Freude die Kinder beim Bildermalen, Luftballons aufpusten und für die Kamera Grimassen schneiden zu sehen. Durch die Anwesenheit der Vormünder haben wir Vieles über die Geschichte der Kinder erfahren können und sind sehr dankbar dass uns dafür unsere Kooperationspartnerin vor Ort, die Nonne Saritha, als Übersetzerin zur Seite stand.

An einem Tag wurde uns dann, trotz der vielen Arbeit, die Möglichkeit gegeben, 3 der umliegenden Dörfer zu besuchen, wo wir uns einerseits ein Bild machen konnten von den ärmlichen Lebensumständen auf dem Land, aber andererseits auch deutliche Spuren des Fortschritts, durch humanitäre Hilfe (neu gebaute sanitäre Anlagen, wie Toiletten) und Eigenengagement (kleine Verkaufsstände, die sich Frauen des Dorfes mit der Hilfe des JMJ-Ordens als neue Lebensgrundlage geschaffen hatten) erkennen konnten. Besonders fasziniert waren wir von der Idee, dass Frauen des Dorfes in verschiedenen Positionen für den Zusammenhalt der Gemeinschaft und die Einhaltung der Projektleitlinien sorgen sollten und dadurch sowohl die Stellung der Frau in der Gesellschaft gestärkt als auch eine reibungslose Koordination sichergestellt werden kann, oder wie es unsere Kooperationspartnerin Sister Saritha ausgedrückt hat „Wenn man in einer Gesellschaft die Frauen stärkt, stärkt man auch die Gesellschaft.“.

Mein persönlicher Höhepunkt dieses Besuches aber war das Aufeinandertreffen mit meinem Patenkind Gopi (ich sage „Kind“, dabei ist er schon ganze 18 Jahre alt – das würde ihn jetzt wahrscheinlich ziemlich ärgern). Ich war neugierig und auch etwas nervös Gopi nun endlich einmal persönlich kennen lernen zu dürfen. Wir hatten zwar nur wenig Zeit uns zu unterhalten, aber ich habe mich sehr gefreut zu merken, dass der Gopi der freundliche, aufmerksame und Gentleman-like junge Mann ist, der er nach seinen Briefen zu sein schien. Ich bin für diesen kurzen, aber sehr schönen Moment sehr dankbar und freue mich, Gopi bei meinem nächsten Besuch wieder zu sehen.

Das letzte Projekt hat uns dann tief in den Süden Indiens gebracht – nach Trichy, einer kleinen Stadt im ländlichen Bundesstaat Tamil Nadu. Unsere Kooperationspartnerin, die Nonne Rosy, führte uns, nach einem kleinen Ausflug in ein anderes Projekt, das sich die Stärkung einer Dorfgemeinschaft zur Aufgabe gemacht hat, in die Einrichtung, mit unseren Patenkindern. Dort wurden wir zuerst schüchtern, dann, mit zunehmender Neugier, immer freudiger und herzlicher begrüßt. Die Kinder dort haben z.T. starke körperliche Beeinträchtigungen und bedürfen viel ergotherapeutischer Arbeit, die ihnen vor Ort zur Verfügung gestellt wird. Sister Rosy kümmert sich liebevoll und sehr anrührend um die Kinder, als wären sie ihre eigenen. Es ist die Art von Hilfe, die es schafft, dass Kinder mit Freude lernen ihr Leben neu zu entdecken und zu meistern. Gerne erzählen wir Hand des Menschen Mitarbeiter hier von der kleinen Mercy, deren großer Fortschritt seit Beginn ihres Aufenthaltes in der Einrichtung uns alle sehr stolz macht. Als Mercy mit den ergotherapeutischen Maßnahmen begann, konnte sie sich nicht selber fortbewegen und hatte keinerlei Kontrolle über ihre körperlichen Funktionen. Mittlerweile ist sie soweit, dass sie sich flink und mit viel Spaß an der Sache selber fortbewegen kann, unter zu Hilfenahme ihrer Arme. Mercy hat ihr Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft und arbeitet fleißig an dem Training ihrer Beine, um eines Tages evtl. sogar laufen zu können. Wir sind auf alle Kinder vor Ort wahnsinnig stolz und denken heute noch gerne an die gemeinsame Zeit zurück, in der wir ferngesehen und uns gegenseitig die Nägel lackiert haben, uns im Hof den Festumzug angesehen haben und zusehen durften, wie die Patenbriefe mit viel Sorgfalt und Freude geöffnet und vorgelesen wurden.

In der kurzen Zeit, in der wir da waren, haben wir versucht, uns die Umgebung in der wir uns befanden, genauer anzusehen. Es ist eine Gegend am Rande der Stadt, nahe der Lederfabrik. Dort gibt es fast ausschließlich Slums, in denen Menschen der untersten Kaste leben. Früher war in dieser Gegend die gesamte Wasserversorgung mit den Chemikalien der Fabrik verseucht. Heute hat die Regierung sicherstellen können, dass zumindest das Trinkwasser in der Region sauber ist. Das Grundwasser jedoch ist noch immer verunreinigt, weswegen uns auch geraten worde, nicht aus dem Haus zu gehen, wenn es regnet, da der Kontakt mit dem verunreinigten Wasser zu allergischen Reaktionen der Haut und Augen, Atemproblemen und Tuberkulose führen kann. Noch heute sieht man die Spuren, die das Wassers bei den Menschen aus den Slums hinterlassen hat.

In einigen der Slums finanziert Hand des Menschen Kindern Nachhilfeunterricht. Dieser findet unter einfachsten Bedingungen in engen kleinen Räumen statt oder einfach inmitten des Slums auf einem Weg, da die Regierung oftmals nicht bereit ist, Räumlichkeiten für den Unterricht frei zu geben und für die Miete das zur Verfügung stehende Geld nicht reicht. Die Kinder sind sehr aufgeweckt und wissbegierig. Uns wurde bei jedem unserer Besuche ein Programm geboten, bei dem die Kinder gesungen und getanzt haben. Es ist schön zu sehen, dass die Hilfe ankommt und gerne genutzt wird, dennoch gibt es vor allem in diesem Projekt noch viele Hürden, die es zu nehmen gilt.