Projektentwicklung Indien 2013

von Ayla Mayer

Mein Name ist Ayla Mayer, ich war 21 Jahre, als ich letztes Jahr im Sommer für 6 Wochen nach Indien geflogen bin um die Projekte unseres Vereins zu besuchen und die Vor-Ort-Arbeitsweise kennenzulernen. Wie die meisten der anderen leitenden Mitglieder studiere ich in Bamberg, einer kleinen Stadt im Nord-Osten Bayerns. Innerhalb des Vereins bin ich für unsere Arbeit in Indien zuständig, welche durch uns koordiniert, ausgebaut und finanziert wird. Meine Reise nach Indien habe ich angetreten um den Projekten unseren halbjährlichen Besuch abzustatten, zu sehen, wie es den Kindern geht und um die Weiterentwicklung, Professionalisierung und den Ausbau einiger Projekte anzuleiten. Für mich persönlich, die später im Bereich des humanitären Sektors arbeiten will, ging es auch darum mich näher mit den Problemlagen und der Arbeitsweise von sozialen Projekten in Indien vertraut zu machen.

Meine Route führte mich von Trichy wo wir das ‚Differently Abeled Home‘ unterstützen, über Tenali nach Gulbargar und schlussendlich Sullia. Trotz meiner bisherigen Reisen in den afrikanischen und asiatischen Kontinent, war das Ankommen in Indien eine beschwerliche Angelegenheit für mich. Die schwüle Hitze, den sofortigen Einstieg in die Arbeit und die doch recht spezielle Mentalität der Inder. In Trichy zusammen mit den Schwestern, welche das Heim für körperlich und psychisch benachteiligte, verwaiste und verarmte Kinder leiten, an einem Tisch zu sitzen und fünf Minuten zu brauchen um zu realisieren, dass überall um mich herum Englisch gesprochen wird war nur eine der Hürden an die es sich zu gewöhnen galt. Nach drei Tagen war das Problem allerdings gelöst und ich hatte selbst indisches Englisch gelernt – wunderbar die Konversation konnte beginnen!

Besonders fasziniert hat mich an dieser Einrichtung das gemeinschaftliche Leben der Menschen auf dem Grundstück. Die Kinder, welche trotz immenser Schwierigkeiten im Leben ein unüberstrahlbares Lächeln im Gesicht tragen, die vielen kleinen und größeren Hände die nach meiner griffen um mir etwas persönliches zu zeigen. Mit den Kindern zu essen und abends, wenn die Sonne untergegangen war, im Garten zu Musik aus dem Handy indische Tänze zu lernen. Schwierig war für mich hier vor allem aber das erste Mal auf die Notlagen indischer Kinder zu treffen und sie wortwörtlich hautnah mitzuerleben. Wohl am härtesten war es bei einer physiotherapeutischen Sitzung eines Kindes dabei zu sein, welches seine Beine nicht strecken kann und deswegen nicht in der Lage dazu ist zu laufen – willkommen im letzten Jahrhundert – und schon habe ich eine Aufgabe für unsere Zukunft gefunden. An den staatlichen Universitäten, werden offensichtlich immer noch Methoden gelehrt, welche für uns schon lange als überkommen gelten und eher an die Knochenbrecher des Mittelalters erinnern.

Nach einigen Tagen ging es von hier weiter nach Tenali, wo wir mit dem Swadhar Home zusammenarbeiten. Eine Einrichtung in welcher ausschließlich Frauen und Mädchen untergebracht sind. Wir kümmern uns hier hauptsächlich um die jungen Mädchen, ermöglichen ihnen eine gute Schulbildung, medizinische Verpflegung und eine vollwertige Ernährung. Viele der Mädchen leiden unter lebensbedrohlichen Krankheiten wie HIV oder Hepatitis, sind verwaist, halbverwaist, Opfer von sexuellen Belästigungen oder Gewalt geworden oder minderjährig verheiratet und dann zwangsgeschieden worden - um nur ein paar der möglichen Schicksalswege zu nennen. Dies direkt zu erfahren und wie die Kinder damit umgehen, wie das Zusammenleben der Mädchen sich gestaltet und mit welcher Intensität Gemeinschaft im Heim gelebt wird, die Großen auf die Kleinen und die auf die Kleinsten aufpassen, wie sich Roshmi über den vakuumierten Kuschelhasen ihrer Pateneltern aus Deutschland gefreut hat und wie schwierig es ist neue Projekte zu finden, die vertrauenswürdig, strukturiert, bedürftig, leidenschaftlich geführt sind und in denen die Kinder eine echte Chance bekommen, das waren die zentralen Erlebnisse meiner Zeit aus Swadhar.

Direkt anschließend ging es weiter nach Gulbargar wo ich ein Treffen mit einem Mann und seiner Familie hatte, welcher in der Planung einer Schule für bedürftige Kinder war. Diese Schule soll besonders qualitativ hochwertige Bildung kostengünstigst an Kinder aus Slumumgebungen bieten. Bei meinem mehrtätigen Besuch stand die Entwicklung einer Idee zur Umsetzung und Gestaltung eines Schulkonzeptes nach deutschem Vorbild im Zentrum. D.h. wie kann man erfolgreiche Konzepte der Inhaltsvermittlung im Unterricht und der sozialen Struktur in Klassen in Deutschland auch in Indien umsetzen und fördern. Die letzte Etappe meiner Reise, nachdem ich mich schon relativ weitgehend an die indischen Traditionen und Lebensweisen gewöhnt hatte, führte mich nach Sullia in die tropischen Wälder hinter der Küste von Mangalore. Und ich war glücklich! Endlich mal eine Stadt mit unter 1 mio Einwohner – fast schon ein Dorf mit seinen 600.000 Menschen. Neben einer Menge kultureller Erfahrungen die ich hier mit dem Ehepaar Sadashiv, welche die Stiftung gegründet haben die hier unser Kooperationsprojekt, der Sandeep Special School, leitet, machen durfte, war ich natürlich auch hier vor Ort um die Institution zu besuchen und mir einen Eindruck über die Arbeit zu verschaffen. Mit besonderer Eindrücklichkeit konnte ich hier erfahren mit wie viel Liebe und Engagement diese zwei Menschen an ihren Projekten arbeiten und diese dabei sind zu entwickeln. Und so entstand hier die Idee die Schule auszubauen, eine Unterkunft für die Kinder einzurichten um den behinderten Kindern der Region eine nachhaltige Perspektive für ihre Entwicklung zu geben.

Besonders berührend waren für mich auch hier die Geschichten der Kinder, welche mit ihren Behinderungen am Rande der Gesellschaft stehen und für die Familien eine große Belastung darstellen und von daher sehr isoliert leben und aufwachsen. Das Ziel der Institution ist es die Kinder so weit auszubilden, sei es ihnen eine grundlegende Bildung zu vermitteln, welche es ihnen möglich macht einen richtigen Beruf zu erlernen, ihre Fähigkeiten und Talente zu entdecken, sodass sie im Haushalt kleine Tätigkeiten übernehmen können oder sogar eine geringe Beschäftigung antreten können oder auch nur ihnen Fähigkeiten zu vermitteln, dass sie sich ausdrücken lernen und lebensnotwendige Taten wie essen oder den Toilettengang selbständig verrichten können. Dies soll ihre Position innerhalb der Familie verändern, sodass sie nicht weiter als Belastung und Schande gelten, sondern eine ihnen gerecht werdende Position innerhalb der Familie bekommen in der sie von dieser gewertschätzt werden.

Meine Zeit im Land der unendlichen Unterschiede, der über 30 Sprachen, der endlosen ethnischen Vielfalt, der Armut und des Reichtums, der Kultur und der knapp 1 mrd. Menschen war eine Erfahrung die ich nicht werde vergessen. Nach über vier Wochen hatte ich alle meine Besuche bei den Projekten beendet und nun noch zwei Wochen Zeit mich von den vielfältigen Eindrücken zu erholen, vor allem aber sie so zu verarbeiten, dass ich sie mit zurück nach Deutschland nehmen konnte. Die Zeit habe ich gebraucht um die vielschichtigen Erfahrungen zu sortieren und die Bilder die ich in der Zeit bekommen habe zu verinnerlichen. Es war keine Reise nur zum Wohle der Kinder für die wir hier in Deutschland, in Indien und Kenia arbeiten, sondern auch für mich. Ich bin gewachsen und mit Eindrücken überschüttet worden, die die meisten Menschen in meiner Heimat nur aus Erzählungen kennen. Wie schwer die wiegen, wie glücklich sie machen und wie nahe sie gehen, kann durch eine Erzählung nur ansatzweise vermittelt werden. Allerdings ist sie ein Anfang um neugierig zu machen und vielleicht den einen oder anderen anregen ebenfalls aktiv zu werden oder uns einfach in unserer Arbeit zu unterstützen.