Projektentwicklung Indien 2013

von Caroline Seidel

Im Frühjahr 2013 ging es für mich wieder nach Indien. Das dieser Besuch so viele Überraschungen für mich bereithalten würde, hätte ich im Vorfeld nie gedacht.

Bei meinem ersten Stop in Hyderabadt musste ich beim Durchschauen der Unterlagen der St. Xavier School feststellen, dass unser Geld leider nicht zweckbestimmt verwendet wurde. Nach längeren Gesprächen willigte Herr Xavier ein, uns das Geld zurück zu zahlen. Seine Frau leitet mit Hingabe und Leidenschaft seit Jahren diese Schule und auch nach wie vor stehe ich hinter diesem Projekt, doch Frau Xavier ist Inderin und sie hat keine eigene Verfügungsgewalt über das Geld. Wegen schwerem Vertragsbruch entschieden wir später auch einstimmig im Vorstand noch einmal offiziell dieses Projekt nicht weiter zu fördern.

Nach dem recht ernüchternden Beginn meines Besuchs ging es für mich weiter nach Swadhar. Die Kinder haben sich ausgezeichnet weiterentwickelt und es geht ihnen allen gut. Während meines Aufenthalts in Swadhar nahmen sieben unserer Patenkinder am Aufnahmetest für eine englischsprachige Schule teil. Drei schafften es sich gegen die Anderen zu behaupten und können nun ab Sommer, Dank der Unterstützung aus Deutschland, auf eine renommierte Schule gehen.

Der selbe Orden der Swadhar leitet hat eine weitere Einrichtung in Trichy bei Chennai. Um auch diese Einrichtung näher kennen zu lernen ging es für mich anschließend ganz in den Süden von Indien.

Auch hier musste ich mich an die Lebens- und Wohnumstände der Menschen erst einmal gewöhnen. Es leben etwa 60 Mädchen mit und ohne Behinderung jeden Alters zusammen. Manche der Kinder kommen von der Straße, wurden von ihren Eltern ausgesetzt, sind Halb- oder Vollwaisen. Behinderte Menschen gelten in der indischen Bevölkerung als minderwertig. Kann eine Familie sich nicht mehr versorgen, versucht man zuerst die Mädchen und behinderten Kinder los zu werden. Im Heim bekommen die Mädchen nicht nur ein Zuhause sondern auch die nötige medizinische Versorgung, Hilfestellung und die Möglichkeit eine Schule zu besuchen. Viele der Mädchen haben Aids. Eine medizinische Behandlung ist absolut notwendig. Nur die wenigsten verbringen den ganzen Tag im Heim. Die meisten gehen zur Schule oder ins College. Die Versorgung der Mädchen jeden Monat sicherzustellen ist ein harter Kampf. Zwar werden die Schwestern vom indischen Staat unterstützt, doch das Geld reicht bei weitem nicht aus. Auf Spenden von Privatpersonen sind sie dringend angewiesen. Die Mädchen dieses Heims werden wir in unser Patenprogram aufnehmen und ihnen auf diese Weise ein besseres Leben ermöglichen.

Mein Auftrag von Verein war es gewesen, einen Partner und Bauplatz für eine Schule zu finden. Daher hatten wir mit verschiedenen Lionsclub Mitgliedern im Vorfeld Kontakt aufgenommen. Um diese Menschen treffen zu können begann nach meinem Besuch in Trichy eine große Reise quer durch Indien. Ich machte in diesen zwei Wochen Erfahrungen die ich so nie wieder machen möchte. Manche kamen erst gar nicht zum verabredeten Treffpunkt, obgleich man 30 Minuten zuvor noch einmal den Termin bestätigt hatte. Andere empfingen mich mit einem großen Kamerateam und stellten mir Baupläne im 200.000 Euro Bereich vor. Es sollten Schulen gebaut werden ohne dass es überhaupt konkreten Anlass dazu gab, Privatschulen öffnen, und und und. Zufällig landete ich auch in verschiedenen Waisenhäusern, in denen Zustände herrschten wie man es nur schwer in Worte fassen kann. Die beiden Wochen waren nicht nur wegen dem vielen reisen unglaublich anstrengend, sondern vor allem wegen all den Eindrücken die ich erst einmal verarbeiten musste.

Als letztes stand Sullia auf meiner Liste. Nach den durchweg schlechten Erfahrungen ging ich mit gemischten Gefühlen zu diesem Treffen. Herr Sadashiv und seine Frau haben mich schlicht weg umgehauen. Das Ehepaar betreibt einen großen Sarishop und leisten herausragende Arbeit in ihrer kleinen Stadt. Sie eröffneten 2000 die „Sandeep Special School“ für Kinder und Jugendliche mit Behinderung , außerdem unterhalten sie eine Schule im Wald für über 150 Kinder die die Regierung schließen wollte da es sich in ihren Augen nicht weiter lohne und bieten Nähkurse für Mädchen und Frauen aus schwierigen Familienverhältnissen an. Anstatt der angedachten zwei Stunden verbrachte ich dort einige Tage und war wirklich fasziniert. Das Ehepaar wusste den Grund meines Besuches nicht. Erst später und nach Absprache mit den anderen Mitgliedern teilte ich ihnen mit, dass wir sie langfristig finanziell unterstützen möchten.

Nach aufregenden Wochen quer durch Indien erlebte ich auf dem Weg zum Flughafen im Zug meine letzte Begegnung die mich sprachlos machte. Müde und genervt stieg ich in den Zug ein der schon zwei Stunden Verspätung hatte. Es ging schon auf Mitternacht zu, trotzdem waren meine Mitreisenden noch fleißig mit Essen beschäftigt. Kaum hatte ich mich auf meinen Platz gesetzt (ja, auch in Indien bekommt man mit dem Kauf einer Fahrkarte einen festen Platz zugewiesen ;)) da kam ein Polizist auf mich zu. Ich war die einzige Weiße im Abteil – vermutlich auch im ganzen Zug. Er hatte schlechte Laune und begann mit seinem Gewehr vor meinem Gesicht herum zu fuchteln. Alles was ich verstand war, dass er meine Fahrkarte als ungültig empfand. Alle um mich herum waren still. Keiner sagte ein Wort. Aus dem Nichts stand plötzlich eine Muslimin in Burka auf. Sie nahm den Gesichtsschutz herunter und fing an auf den Polizisten einzureden – wobei schreien wohl das passendere Wort ist. Insgesamt vier Frauen mit Burka ergriffen Partei für mich. Keiner der Männer mit denen ich mich zuvor so nett unterhalten hatte traute sich seine Stimme gegen den Polizisten zu erheben. Nach drei Minuten die mir wie zwei Stunden vorkamen gab der Polizist auf. Er entschuldigte sich knapp bei mir und verschwand. Kurz darauf kam auch der Schaffner, dem die ganze Situation sichtlich peinlich war. Auch wenn meine vier Heldinnen kein einziges Wort Englisch sprachen saßen wir noch eine halbe Stunde lächelnd zusammen. Ich wurde mit herrlichem indischen Essen versorgt und konnte tatsächlich noch ein paar Stunden Schlaf bekommen, bevor ich zum Flughafen musste. Diese Begegnung war einmalig und ich werde sie wohl nie vergessen. Ohne die muslimischen Frauen hätte mich der Polizist sicher beim nächsten Halt rausgeschmissen. Nicht weil er dazu einen Grund gehabt hätte, sondern einfach nur um seine Macht zu demonstrieren.

Was für eine Zeit!